
Jedes Jahr aufs Neue flammt sie im Frühjahr auf: die Diskussion um eine der bekanntesten Börsenweisheiten überhaupt – „Sell in May and go away, but remember to come back in September“. Die Idee dahinter klingt simpel: Anleger sollen im Mai ihre Aktien verkaufen, sich im Sommer zurücklehnen und erst im Herbst wieder einsteigen. Doch was steckt hinter diesem saisonalen Investmentansatz? Und lohnt sich diese Strategie wirklich?
Die Grundidee: Saisonalität an der Börse
Die Börse kennt viele Sprichwörter, doch kaum eines ist so populär wie „Sell in May“. Es basiert auf der Beobachtung, dass die Börsenentwicklung zwischen Mai und Oktober oft schwächer verläuft als zwischen November und April. Historisch betrachtet schneiden die Wintermonate durchschnittlich besser ab – mit höheren Renditen und geringeren Schwankungen.
Dieser Effekt wurde umfassend analysiert. In der Rückrechnung über verschiedene Jahrzehnte hinweg konnte tatsächlich in vielen Fällen ein saisonaler Unterschied festgestellt werden. Insbesondere im Zeitraum von 1998 bis 2024 erzielte die Aktienregion „Welt“ in den Monaten Oktober bis April regelmäßig positive Durchschnittsrenditen. Eine auf dieser Logik basierende Anlagestrategie konnte dabei langfristig bessere Renditen mit geringeren Risiken erzielen als ein dauerhaft investierter Ansatz.
Theorie vs. Realität: Funktioniert „Sell in May“ wirklich?
So überzeugend die historischen Daten auch wirken: Die Realität ist komplexer. Es gab durchaus Jahre, in denen die Märkte im Sommer stark zugelegt haben – 2020 ist ein gutes Beispiel. Nach dem Corona-bedingten Crash im Frühjahr erholten sich die Kurse bis in den Herbst hinein deutlich. Wer sich damals im Mai von seinen Positionen trennte, verpasste eine der stärksten Erholungsphasen der Börsengeschichte.
Das zeigt: Eine „Sell in May“-Strategie ist keineswegs eine Garantie für Erfolg. Sie funktioniert nur dann zuverlässig, wenn sie konsequent und langfristig angewendet wird – über Jahre hinweg und ohne emotionale Eingriffe. Und genau das ist eine große Herausforderung für viele private Anleger.
Psychologische Hürden und Timing-Risiken
Ein großes Problem dieser Strategie ist das Timing – nicht nur technisch, sondern auch emotional. Wer im Mai verkauft, muss im Oktober oder spätestens im November wieder einsteigen. Doch was passiert, wenn die Kurse im Herbst höher stehen als zum Zeitpunkt des Verkaufs? Viele Anleger zögern dann – und steigen überhaupt nicht mehr ein. Die Folge: Sie bleiben dem Markt langfristig fern und verpassen potenzielle Kursgewinne.
Diese Unsicherheit führt oft zu einer Art psychologischer Blockade, die langfristig mehr schadet als nützt. Denn trotz aller Schwankungen hat sich der Grundsatz „Zeit schlägt Timing“ immer wieder bewährt. Anleger, die langfristig investiert bleiben, profitieren in der Regel mehr als diejenigen, die versuchen, durch Marktein- und -ausstiege den perfekten Zeitpunkt zu erwischen.
Was spricht gegen „Sell in May“?
Neben der psychologischen Komponente gibt es auch praktische Gründe, die gegen diese Strategie sprechen:
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Transaktionskosten: Durch das regelmäßige Kaufen und Verkaufen entstehen Kosten, die die Rendite schmälern können.
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Steuern: Verkäufe können steuerpflichtige Gewinne auslösen.
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Wiederanlage-Risiko: Der Wiedereinstieg gelingt nicht immer zum idealen Zeitpunkt.
Und nicht zuletzt: Die Ursachen für saisonale Effekte sind wissenschaftlich nicht eindeutig erklärbar. Feiertage, Bilanzsaisons, Steuerfristen oder einfach nur wiederkehrende Anlegerpsychologie – all das könnte eine Rolle spielen. Sicher belegt ist jedoch nichts davon.
Fazit: Strategie mit Vorsicht genießen
„Sell in May and go away“ klingt verlockend – und tatsächlich sprechen einige historische Daten dafür, dass saisonale Unterschiede an den Börsen existieren. Wer diese Strategie aber erfolgreich umsetzen will, braucht Geduld, Disziplin und ein gutes Nervenkostüm. Denn kurzfristige Marktbewegungen sind unberechenbar, und der Versuch, diese zu timen, endet oft in verpassten Chancen.
Für die meisten Anleger gilt daher: Langfristig investiert bleiben ist oft der bessere Weg. Anstatt auf Kalenderweisheiten zu setzen, lohnt es sich mehr, in eine solide Anlagestrategie mit breiter Diversifikation und klarem Ziel zu investieren.
Disclaimer:
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